Julian – Kickstart im Blut und Oldschool im Herzen


Wenn Julian über Motorräder spricht, dann redet er nicht über Fahrmodi, ABS oder Bluetooth-Anbindung. Bei ihm geht’s um das Geräusch eines Kickstarts, das metallische Einrasten, das Zittern in den Armen – und das Gefühl, dass gerade eine alte Legende zum Leben erwacht. Julian kommt aus Bottrop, mitten aus dem Ruhrpott. Doch sein Herz schlägt nicht für Stahlwerke oder Fußball, sondern für alte Harleys. Für die Maschinen, die noch knattern durften, die geölt statt gechippt wurden, und bei denen der Startvorgang noch so viel Charakter hatte wie das ganze Bike. Heute fährt er drei ganz besondere Stücke: eine Panhead von 1955, eine Shovelhead von 1979 und einen Evolution Softail Chopper von 1994. Und wie er sagt: „Mit dem modernen Kram kann ich überhaupt nix anfangen – für mich ist Harley 1999 gestorben.“

Wie alles anfing – unter den Alten
Julian ist keiner, der zufällig in die Szene gerutscht ist. In jungen Jahren war er Teil der 1%-Szene, doch schnell zog es ihn eher zu den alten Typen, den Jungs mit zerfledderten Kutten, langen Bärten und Geschichten aus den 70ern. „Die waren irgendwie anders. Echt. Hängen geblieben, aber im besten Sinne.“ Dort, zwischen diesen Charakterköpfen, wuchs seine Liebe zu alten Maschinen. Irgendwann sah er zum ersten Mal, wie jemand eine alte Harley antrat – da war’s um ihn geschehen.
„Ich hatte die Nadel im Arm und war ein Kickstart-Junkie.“
Was dann kam, war der Einstieg in eine Gemeinschaft, die heute kaum noch zu finden ist: echte Schrauber, keine Selbstdarsteller. Teile wurden getauscht, Tipps geteilt, Hilfe war selbstverständlich. Julian fand seine Leute. Und damit auch den Mut, seine Visionen umzusetzen.

Die erste eigene Maschine – ein Anfang auf Raten
Sein erstes Bike war eine 1200er Sportster. Nichts Spektakuläres auf dem Papier, aber für Julian der Einstieg in die Freiheit auf zwei Rädern. „Die konnte ich bei einem guten Freund abstottern – ohne den wäre das nix geworden.“
Doch es sollte nicht bei der Sportster bleiben.

Kicker, Springer, Suicide – Maschinen mit Persönlichkeit
Heute fährt Julian ausschließlich only-Kicker-Bikes. Kein E-Start, keine Kompromisse. Seine Panhead und Shovelhead laufen mit Suicide Clutch und Handschaltung, vorne stecken abenteuerliche Springer-Gabeln, die wohl keinem TÜV-Prüfer ein Lächeln ins Gesicht zaubern würden. Aber genau das ist sein Ding: authentisch, kompromisslos, ganz oder gar nicht.
„Ich hab früher auch mal coole Bobber-Umbauten gemacht. Aber heute müssen’s Oldschool-Chopper sein – schön schmal, schön roh.“
Für Julian ist ein Bike wie eine Leinwand. Seine Bikes sind fahrende Kunstwerke – und jedes Schrauben daran ist Teil eines kreativen Prozesses.

Der Schrauberwahn in der Garage
Geschraubt wird bei ihm zu Hause, in der eigenen Garage. Ein Ort zwischen Chaos und Kreativität. Dort beginnt alles – und wird regelmäßig wieder eingerissen.
„Ich krieg’s immer wieder in den Kopf und bau alles um. Und dann muss es sofort sein – keine Geduld, alles auf einmal.“
Klar wird’s dadurch teuer. Klar ist es manchmal ein Krampf. Aber am Ende zählt nur eins: „Wenn du wieder auf dem Bike sitzt und deine Vision Realität ist – das ist pures Glück.“

Auf Tour mit Charakter
Die geilste Tour? Für Julian war das der Trip von NRW nach Thüringen. „Ich war hin und weg, wie schön der Osten ist – Grüße gehen raus!“ Doch egal ob lange Strecke oder Kurztrip – am liebsten lässt er den alten Krempel einfach auf der Landstraße laufen. Kein Ziel, kein Navi, kein Plan. Nur das Bike, der Wind und der Moment.

Die Szene heute – zwischen Nostalgie und Instagram
Julian ist ehrlich – vieles in der heutigen Szene kotzt ihn an. „Es gibt kaum noch Leute, die wie ich den alten Krempel fahren. Heute kaufen sich alle moderne Harleys und denken, sie sind jetzt Influencer. Alles dreht sich nur noch um Klappenauspuff und Show.“ Nicht seine Welt.
Zum Glück hat er noch ein paar Gleichgesinnte um sich – echte Typen mit rostigen Tanks, ölverschmierten Händen und Bikes mit Charakter. Das ist für ihn die wahre Szene.

Kurve, Abgrund – und ein bisschen Glück
Eine Geschichte wird Julian nie vergessen: In Ennepetal fliegt er aus einer Kurve – und vor ihm geht’s locker 15 Meter in die Tiefe.
„Zum Glück ist mir die Karre weggeschmiert, bevor ich wirklich am Abgrund war. Sonst wär’s das wohl gewesen.“ Manchmal entscheidet ein Zentimeter über die nächste Geschichte.

Und beim TÜV?
Was er dem Prüfer sagt, wenn Fragen aufkommen? „Ich sag immer: Das war in den 50ern schon so.“ Was willst du da noch prüfen?

Julian – Einer von den Echten
Julian baut keine Bikes, um auf Events zu glänzen. Er fährt sie, weil sie ihn widerspiegeln. Seine Panhead, seine Shovel, sein Evo – das sind keine Fahrzeuge. Das ist Haltung, Charakter und Geschichte auf zwei Rädern. Er ist einer von denen, die du hörst, bevor du sie siehst. Und die du nicht mehr vergisst, wenn du sie einmal getroffen hast.
Oldschool oder gar nicht. Kicker oder gar nicht. Echt oder gar nicht.

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