Ein Leben auf zwei Rädern, ohne Kompromisse
Es gibt Biker, die fahren einfach nur – und es gibt diejenigen, für die zwei Räder die ganze verdammte Welt bedeuten.
Marvin Richter gehört zu Letzteren.Geboren in Bayreuth, tiefstes Oberfranken, lebt er ein Leben, das sich um Motoren, Straßen, und endlose Schraubernächte dreht. Sein Motorrad ist keine Trophäe, kein Showobjekt – es ist ein Werkzeug, eine Erweiterung seines Körpers, ein verdammtes Statement.Sein Zuhause? Die Garage.Sein Rhythmus? Schrauben, fahren, umbauen – von vorne.Seine Maschine? Eine FXR von 1989 – sein Geburtsjahr. Das hier ist seine Geschichte.
Die Werkstatt als zweite Heimat – Wie alles begann
Schrauben war für Marvin nie eine Entscheidung – es war Schicksal. Sein Vater ließ ihn von klein auf in der Werkstatt werkeln,experimentieren, Fehler machen. Kein „Lass das lieber“, sondern ein „Probier’s aus“.
Sein erster Ferienjob war dann auch nicht irgendein Aushilfsjob – er landete in der Firma seines Vaters. Dort brachte ihm der Werkstattleiter das Schweißen, Drehen und Konstruieren bei. Nach Feierabend wurde die Werkstatt sein Spielplatz. Unzählige Nächte voller Öl, Metallspäne und Trial & Error.
Zwei Räder, ein Leben – Vom BMX zur Harley
Marvin war schon immer auf zwei Rädern unterwegs – nur zuerst ohne Motor. BMX war seine erste große Leidenschaft. Gleichgewicht, Speed, Technik – es war instinktiv. Sein Vater, selbst Motorradfahrer, nahm ihn oft mit. Im Firmenhof durfte er alle Maschinen fahren, die da standen. Doch der Führerschein? Der kam spät. Erst mit 23, als seine Frau Roller fahren wollte, zog er mit. „Wenn sie fährt, dann ich auch.“ Es war der erste Schritt in eine Welt, aus der er nie wieder rauskommen würde.
Die erste Maschine – Die ersten Fehler, die ersten Lehren
Sein erstes eigenes Bike war eine Yamaha XVS650. Natürlich blieb sie nicht lange original. „Umbauten mit mickrigem Budget, eBay-Teile, viel Improvisation.“ Heute sieht er es anders. Vieles würde er nicht mehr so machen – und eingetragen war damals natürlich auch nichts.Aber die Maschine war sein Einstieg in eine neue Welt. Eine, in der es nicht darum geht, ein Bike einfach nur zu fahren – sondern es zu besitzen, zu formen, zu verändern. Nach 1,5 Jahren kam der nächste Schritt: Die erste Harley zog ein.
Seine FXR – Eine Maschine, die durch Zufall zur Legende wurde
Die FXR sollte eigentlich gar nicht bleiben. Gefunden auf Kleinanzeigen, gekauft, repariert – und dann stand sie rum. Marvin fuhr seine FX lieber. Bis zu dem Tag, an dem ihm ein Auto die Vorfahrt nahm – und das Bike Geschichte war. „Verzogener Rahmen, kaputter Motor, Getriebe im Arsch – Totalschaden.“ Während er sich von seinen Verletzungen erholte, kreisten die Gedanken schon um das nächste Bike. Es sollte wendig sein, tourentauglich, gebaut für die langen Strecken. Ursprünglich sollte es eine Tour Glide werden – doch das Geld der Versicherung ließ auf sich warten. Und Marvin wollte endlich loslegen. Die FXR stand da, wartete – und der Entschluss war gefallen. Das Ding wird aufgebaut.
Drei Monate Schrauberwahnsinn – Eine FXR mit Seele
Ein grundsolides Tourenbike sollte es werden. Etwas, das Kilometer frisst und dabei nicht schlappmacht.
– Mikuni HSR42 für mehr Leistung
– Komplett neue Bremsen für mehr Kontrolle
– Instrumente ins Fairing verlegt – mit einer selbst gefrästen Halterung
– Elektrik von Grund auf neu gemacht
Die meisten denken, mein Helm passt zum Bike – aber eigentlich ist es andersrum. Der Helm war zuerst da. Schwarz-Gold. Gekauft, weil er perfekt zur FX gepasst hätte. Dann kam der Unfall. Und als das neue Bike entstand, war klar: Es wird schwarz-gold. Weil es zu dem Helm passt.
Von Norwegen bis Schottland – Zwei Reisen, die Marvin nie vergessen wird
Es gibt Touren, die sind einfach nur geil. Und dann gibt es die, die dich an deine Grenzen bringen, die alles abverlangen – und dich am Ende mit Erinnerungen zurücklassen, die du nie wieder loswirst. Marvins letzte große Tour führte ihn nach Norwegen. Es war die erste richtige Fahrt mit seiner frisch umgebauten FXR, ein Testlauf unter echten Bedingungen. Südnorwegen, Temperaturen um die zwei Grad, Straßen, die wie aus einem anderen Universum wirken. Doch dank seines Full-Fairings konnte er es einigermaßen aushalten.
„Die Landschaft dort ist einfach der Wahnsinn. Zum Niederknien schön.“ Doch wenn es eine Tour gibt, die ihn mehr geprägt hat als jede andere, dann war es Schottland. Es begann eigentlich harmlos: Ein kurzer Trip in die Alpen, vier Tage ohne Pannen, pure Freiheit. Doch als er zurückkam, fragte ihn seine Frau:
„Bist du jetzt zufrieden?“
Seine Antwort? „Niemals. Schottland steht immer noch auf der Liste.“
Ihre Antwort? „Jetzt oder nie.“
Und so begann eines der verrücktesten Abenteuer seines Lebens.
Schottland – Alles, was schiefgehen kann, geht schief
Mit dem Transporter ballerte Marvin durch die Nacht an die Küste, ließ sich in Brügge noch kurz treiben und machte dann einen Schlenker nach Amsterdam – nur um sich dort im Rusty Gold Motorshop noch einen Pulli zu holen.
Von dort ging es mit der Fähre nach England, weiter die Ostküste hoch bis nach Edinburgh. Das Wetter? Dreckig. Wind, Regen, kalte Böen – aber er ließ sich nicht beirren. Schottland empfing ihn mit dem rauen Charme, den er erwartet hatte. Die Highlands – atemberaubend. Das Essen? Eine Katastrophe. Dann kam die erste Panne. Sein Scheinwerferkabel scheuerte durch, eine kleine Stichflamme – aber zum Glück nichts, was sich nicht schnell flicken ließ. Dann der nächste Rückschlag:
Sein Benzin ging aus – mitten im Nirgendwo.
Keine Tankstelle weit und breit, keine Menschenseele zu sehen. Er war gestrandet.
„Ich dachte mir: Super, das war’s.“
Doch nach zehn Minuten kamen Spaziergänger vorbei – und ausgerechnet sie konnten helfen. Zwei Deutsche, mitten in Schottland, kauften ihm Benzin gegen Bargeld.
„Wenn ich Pech habe, dann wenigstens mit Stil.“
Noch nicht genug Pech? Kein Problem! Tag vier begann mit einer bitteren Erkenntnis: Das Bike verbrennt mehr Öl als gedacht – und die Bremsflüssigkeit hinten war fast leer. „Ich hätte die Maschine vor der Reise mal genauer checken sollen.“ Aber er war ja in der Nähe einer Stadt – also ein Stopp bei Harley Glasgow, einmal alles auffüllen, weiter geht’s. Doch Schottland hatte noch eine Überraschung auf Lager. Am Nachmittag riss sein Kupplungszug. „Da stand ich also – mitten in der Highlands, keine Chance weiterzukommen.“ Ein Anruf bei der nächsten Werkstatt brachte Hilfe. Ein Typ namens Andy kam nach 30 Minuten – entschuldigte sich für die „lange Wartezeit“ und brachte ihn in seine Werkstatt. „Ich bekomme dich heute noch auf die Straße. Egal, wie lange es dauert.“ Andy, ein ehemaliger RAF-Testpilot, betreibt die Werkstatt nur, damit ihm nicht langweilig wird. Und als er feststellte, dass kein Lötnippel passen würde, baute er einfach einen. Zwei Stunden Handarbeit, eine perfekte Notlösung. Als Marvin zahlen wollte, winkte Andy nur ab. „Passt schon. Gute Reise, Kumpel.“
Ein Mann, den Marvin nie vergessen wird.
Sonntagabend. Autobahn. Absolute Katastrophe.
Nach einem Besuch bei Freunden wollte er auf der Autobahn einfach nur Kilometer fressen. Doch nach zwei Stunden Fahrt ging das Bike einfach aus. Komplett tot. Schnell stellte sich heraus: Die Batterie war leer. Er schob die Maschine auf einen Parkplatz. Direkt vor einer MC-Strecke – ein ironischer Zufall. Eine Powerbank half ihm, den Übeltäter zu finden: Der Spannungsregler war abgeraucht. Ein neuer war in London aufzutreiben – aber wie zur Hölle sollte er da hinkommen? Keine Chance. Die Lösung: Warten.
Er verbrachte die Nacht in einem Hotel, mietete sich am Morgen ein Auto und fuhr zwei Stunden nach Wales, um das Ersatzteil zu besorgen. Eingebaut, Motor an – und wieder aus. „Zwei Nervenzusammenbrüche später entschied ich mich: Neue Batterie kaufen, fahren, wenn sie leer ist, irgendwo laden und weiter.“ Das Problem? Die alte Batterie war auch im Arsch. „Ich dachte, ich werde hier nie wieder wegkommen.“
Doch am Ende lief es – mit viel Improvisation, Geduld und einem neuen Regler, der ab sofort fester Bestandteil seines Bordwerkzeugs ist. Nachdem er die Nacht nochmal bei Freunden verbracht hatte, ging es mit der Fähre zurück nach Brügge – von dort mit dem Transporter nach Hause. Zwei Wochen später war das Moped dann trotzdem Geschichte.
Aber eins steht fest: Diese Tour wird er nie vergessen.
Schottland hat ihn verändert – aber die nächste Tour kommt.
Wenn man ihn fragt, ob er die Tour nochmal machen würde, grinst er nur. „Sofort.“
Es gibt Touren, die sind einfach nur geil. Und dann gibt es die, die dich an deine Grenzen bringen, die alles abverlangen – und dich am Ende mit Erinnerungen zurücklassen, die du nie wieder loswirst. Schottland war genau das.
Und genau deswegen war es die perfekte Tour.
Seine zweite Heimat – Eine kleine Tankstelle in Tschechien
Marvin fährt oft allein. Sein Lieblingsziel? Der Osten. Er liebt die Straßen in Tschechien – wenig Verkehr, entspannte Leute, keine deutsche Bürokratie. Und jedes Mal, wenn er die Grenze überquert, gibt es eine Konstante: Einen French Hot Dog. „Ich liebe die Dinger einfach.“ Egal, ob es eine lange Tour ist oder nur ein Kurztrip – dieser Stop gehört dazu. Ein kleines Ritual auf jeder Fahrt.
Oldschool oder neuer Kram? Keine Frage.
„Lieber Oldschool. Obwohl mein Bike gerade eher den modernen Look hat.“ Aber für ihn zählt, was Motorräder früher hatten – Charakter.„Designer haben sich noch was getraut, die Fahrzeuge waren nicht rundgelutscht und im Windkanal optimiert.“ Und das Wichtigste? Alte Maschinen kann man reparieren. Ohne Software, ohne Lizenzcodes. Einfach mit Verstand und Werkzeug.
Schrauben – Therapie oder Frust? Beides.
Manchmal ist Schrauben die pure Entspannung. Aber manchmal ist es nichts als Schmerz. Aktuell baut er die FXR seines Vaters mit einem Ural-Beiwagen um – und nichts daran passt. Jeder Halter muss umgeschweißt werden, die Schwinge verlängert, die Bremsanlage umgebaut. „Wenn es immer einfach wäre, würde es ja jeder machen.“ Seine Werkstatt? Seine Garage. Ein Auto passt da schon lange nicht mehr rein.
Die Szene – Was sie kann und was nicht
Marvin ist oft allein unterwegs. Nicht, weil er Menschen nicht mag – sondern weil viele Szenen einfach zu elitär sind. „Mit einem Evo-Schwingrahmen wird man auf manchen Treffen eher belächelt – weil es keine Panhead im Starrrahmen ist.“ Doch eins liebt er an der Szene: Den Zusammenhalt. „Ich musste noch nie lange mit einer Panne am Straßenrand stehen, bevor jemand angehalten hat. Egal, ob er helfen konnte oder nicht.“ Das sollte bleiben. Egal, wie sich die Szene verändert.
TÜV & Soundtrack – Marvins Art, die Straße zu lesen
Beim TÜV braucht man manchmal gute Argumente – oder einfach eine gute Story. „Ja klar sind die Bremsscheiben eingetragen, die KBA-Nummer steht halt auf der Rückseite – deswegen kann man die gerade nicht lesen.“ Ob der Prüfer es geglaubt hat? Vermutlich nicht. Aber das Bike hat seinen Stempel bekommen – und das ist, was zählt. Auf der Straße hält Marvin sich nicht unbedingt an das, was auf den Schildern steht. Tempolimits? Empfehlungen. Stopschilder? Optional. Rechts vor Links? Wer ganz links fährt, muss sich da keine Gedanken machen.
Und genau deshalb hat sein Bike auch einen Soundtrack: „Fuck the Police“ von N.W.A.
Passt perfekt – laut, kompromisslos und immer mit Vollgas.
Marvin Richter – Straße, Schrauben, Schottland
Marvin ist keiner, der lange nachdenkt – er macht einfach. Egal ob in der Werkstatt, auf der Straße oder mitten in der schottischen Pampa mit einem abgerauchten Regler. Sein Leben dreht sich um Maschinen, um Touren, um Geschichten, die man nicht erfindet, sondern erlebt.
Er fährt nicht, um irgendwo anzukommen – er fährt, weil es sein Leben ist. Weil die Straße Freiheit bedeutet. Weil der Motor nicht nur eine Maschine ist, sondern ein Herzschlag aus Metall.
Er ist der Typ, der alleine Richtung Norwegen ballert, um seine frisch umgebaute FXR auf die Probe zu stellen. Der in Schottland mit einer Stichflamme im Scheinwerferkabel kämpft, mitten im Nirgendwo ohne Sprit steht und trotzdem weiterfährt.
Der die Werkstatt seines Vaters als Spielplatz hatte, der nie aufhört zu schrauben, weil ein Bike nie fertig ist. Der sich lieber ein selbstgebautes Bike durch die Scheiße kämpft, als irgendwas von der Stange zu fahren.
Seine Regeln sind einfach: Wenn’s keinen Spaß macht, ist es nichts wert. Wenn’s kein Problem gibt, gibt’s auch kein Abenteuer. Und wenn die Straße frei ist, dann ist die Ampel nur Deko.
Marvin Richter – ein Leben in Öl, Benzin und purem Freiheitsdrang. Bis zur nächsten Tour. Bis zur nächsten Panne. Bis zur nächsten verdammt guten Geschichte.
One response
Mich hat er auch angesteckt, umgestiegen nach über 40 Jahren BMW auf eine FXR und glücklich