Oldschool aus der Ostzone mit Herz fürs Grobe


Manche Typen passen einfach nicht in Schubladen – und genau so einer ist Pechi. Fast 55 Jahre alt, geboren in Weimar, mitten im damaligen Osten. Dort, wo Schrauben nicht Hobby, sondern oft die einzige Lösung war. Wer ein Moped wollte, musste wissen, wie man es am Leben hält.
Ersatzteile waren Mangelware, gute Tipps kamen aus der Nachbarschaft – und die besten
Umbauten entstanden in Hinterhöfen mit Bier in der Hand.

Von der S51 zur XS – ein Leben auf zwei Rädern
Sein erstes Bike? MZ TS 150 – Geschenk vom Vater zum 16. Geburtstag. Davor war die Luft schon voll von Zweitaktduft: SR1, Star, Schwalbe und natürlich die legendäre S51 von Simson. Wer in der DDR unterwegs sein wollte, brauchte eigenes Werkzeug, ein bisschen Mut und die Bereitschaft, die
halbe Straße in Rauch zu hüllen.

Von US-Cars und Schleizer Legenden
Mitte der 90er, nach der Wende, öffnete sich die Welt – und Pechi entdeckte die Liebe zu US-Cars.
Die V8-Bollerkisten wurden zum zweiten Zuhause. Jahre später wurde er Mitglied im American Car Club Thüringen, der das legendäre Schleizer Dreieck Treffen veranstaltet hat – ein Event, bei dem Gummi, Rock’n’Roll und echter Straßendreck zusammenkamen. Heute ist das Treffen Kult – und Pechi war mittendrin.

Zwischen alten Balken und neuen Ideen
Heute lebt Pechi in einem 500 Jahre alten Bauernhaus bei Nordhorn – eine Location, die genauso nach Schraubergeschichten schreit wie ihre Bewohner. In der Garage parkt nicht nur der Alltag, sondern echte Zeitgeschichte auf Rädern: eine 76er Yamaha XS650 im Starrahmen, eine zweite XS im Rohbau – und ein 1948 Chevrolet Fleetmaster, der allein beim Anblick nach Benzin und Rockabilly schreit.

Die XS – mehr Charakter als Chrom
Die aktuelle XS650 hat Pechi mit seinem Kumpel Johann Hemke zusammengeschraubt. In dessen
altem Kotten wurde gehämmert, geflucht und gefeiert, bis aus einem Haufen Teile ein ehrlicher Oldschool-Chopper wurde.
Basis: VG-Starrahmen mit einer klassischen XS-Telegabel. Hinten rollt sie auf einem 16-Zöller mit Avon, vorne thront ein 20-Zoll-Rad, ebenfalls mit Avon-Gummi. Der Sportster-Tank sorgt für die schmale Linie, die leicht vorverlegten Rasten für den entspannten Sitz. Handgebaute Sissybar, ein Fender aus der Grabbelkiste und ein Model A Rücklicht machen klar: Hier wurde nichts gekauft, was
nicht unbedingt nötig war.
Das einzige Zugeständnis an die Moderne: Die XS hat beim Umbau eine elektronische Zündung
verpasst bekommen – nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil Zuverlässigkeit vor Show geht. In einer Welt voller klassischer Kabelsalate und Kontaktzündungen ist das vielleicht der einzige
Kniefall vor der neuen Zeit. Alles andere am Bike bleibt bewusst roh, mechanisch und so ehrlich wie ein Handschlag unter Schraubern.

Jede Fahrt ein Abenteuer
Mit so einem Bike fährt man nicht einfach von A nach B – jede Tour ist eine kleine Zeitreise mit
eingebautem Nervenkitzel. Wenn Pechi erzählt, wie oft sich unterwegs mal eine Schraube
verabschiedet oder ein Kabel lockert, grinst er. Aber genau dafür hat er immer Kabelbinder, Draht und Glühbirnen dabei. Improvisation ist eben Oldschool-Grundlage.
Legendär war die Fahrt zum Race 61 nach Berlin. 700 Kilometer in einem Rutsch – mit einem Bike, das die meisten für die Anreise aufm Hänger geladen hätten. Und als die Berliner dann das Kennzeichen sahen? Respekt gab’s gratis.

Keine Stammtische – Straße ist Treffpunkt genug
Feste Treffen oder Stammtische? Nicht Pechis Ding. Wenn die Sonne rauskommt, wird der Hobel angeschmissen und die Grafschaft Bentheim zur persönlichen Route 66. Fahren nach Gefühl – so simpel kann Freiheit sein.

Patina statt Politur
Hochglanz? Braucht er nicht. Seine Maschinen sind Gebrauchsgegenstände, keine
Ausstellungsstücke. Kratzer, Roststellen, kleine Beulen – jede Delle erzählt ne Story. Pechi sieht das wie Tattoos – je mehr, desto mehr erlebt.

Schrauben – Liebe, Hass, Bier
Schrauben gehört dazu. Manchmal ist es Therapie, wenn der Alltag nervt. Manchmal ist es der blanke Hass, wenn nichts passt. Aber spätestens wenn der Motor das erste Mal nachm Umbau wieder läuft, gibt’s Bier und Gänsehaut gleichzeitig.

TÜV – eine Frage der Interpretation
Auf die Frage, was die größte Lüge beim TÜV war, kommt die Antwort trocken:
„Ich hab ihm mal erzählt, die Bremsen wären top.“
Dass die nicht getestet wurden, war Glück. Heute verzögert alles – aber damals war es mehr
Optimismus als Wahrheit.

Soundtrack seines Bikes?
Pechis Wahl? „Vicky Leandros – Ich liebe das Leben.“
Ein Song, der vielleicht nicht nach Chopper klingt – aber genau den Vibe trifft: Leben, fahren, lachen – und nicht alles so ernst nehmen.

Pechi ist Rust & Thunder pur

Weil er nicht fährt, um gesehen zu werden. Sondern weil er fährt, weil er muss. Weil er nicht schraubt für Likes, sondern weil sein Bike nur so am Leben bleibt. Und weil er sich auch nach 40 Jahren auf zwei Rädern immer noch wie ein 16-jähriger fühlt, wenn der Motor anspringt. Genau solche Typen gehören hier rein.

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